RNA + Forschung

RNA erobert die Medizin

Obwohl ihre Struktur der Erbsubstanz DNA ähnelt, wurden den kleinen, aus ihr herauskopierten Schnipseln namens RNA (Ribonukleinsäure, resp. ribonucleic acid) bisher nur Helferdienste zugeschrieben. RNA transportiert beispielsweise die Information für die Herstellung der Proteine. In den letzten Jahren entdeckte die Wissenschaft jedoch viele neue Formen, die essenzielle Funktionen in der Zelle wahrnehmen. Und bereits bekannte Formen erwiesen sich als wichtiger als gedacht. «Bei der Umsetzung der genetischen Information geschieht die ganze Action auf der Ebene der RNA», bestätigt Oliver Mühlemann, Leiter des Nationalen Forschungsschwerpunkts RNA & Disease. Deshalb ist die RNA auch zentral für viele innovative Therapieansätze – als Wirkstoff und als Angriffspunkt.

Noch im Labor

CHOLESTERIN: Fettstoffwechsel regulieren
Typ: Mikro-RNA
Vor gut 25 Jahren wurden erstmals winzige RNA-Stücke in den Zellen entdeckt, die an bestimmte Boten-RNAs binden und so die Produktion von Proteinen blockieren. Diese Mikro-RNA mischen bei etlichen Stoffwechselprozessen mit: So reguliert etwa die Mikro-RNA miR-33 mindestens zehn Gene des Fettstoffwechsels. Im Mausmodell förderte die Blockierung des Effekts von miR-33 die Bildung von «gutem» Cholesterin und reduzierte Arteriosklerose. An der ETH Zürich untersucht die Forschungsgruppe von Jonathan Hall gerade, welche Rolle Mikro-RNA bei der Entstehung von anderen Krankheiten wie etwa Krebs spielt.

HERZKRANKHEITEN: Blutprobe verrät Muskelzustand
Typ: lange, nicht kodierende RNA
Nach einem Herzinfarkt muss sich das Herzgewebe wieder regenerieren. An diesem Prozess sind sogenannte lange, nicht kodierende RNA-Stränge beteiligt. Mediziner glauben, dass diese Stränge in Zukunft bei der Prognose für die Genesung oder bei der Diagnose von chronischen Herzproblemen helfen könnten. Bis jetzt wurden schon über 50 000 dieser langen RNA in verschiedenen Organen entdeckt – ihre Funktion ist meist noch ein Rätsel. An der Universität Bern entwickelt deshalb die Arbeitsgruppe um Rory Johnson eine Methode, um mehr über diese RNA-Stränge herauszufinden.

In der Pipeline

KREBS: Frühe Kontrolle des Therapieerfolgs
Typ: Ribosomale RNA
Je früher man weiss, ob eine Chemotherapie wirkt, desto besser für die Patienten. Die kanadische Biotech-Firma Rna Diagnostics hat eine Methode entwickelt, die den Therapieerfolg schon nach zwei Wochen bestimmen kann – durch die Analyse der ribosomalen RNA im Tumorgewebe. Wenn diese RNA kaputt ist, die bei der Herstellung von Proteinen gebraucht wird, stirbt auch das Tumorgewebe ab. Ist die ribosomale RNA dagegen intakt, heisst dies: Das Medikament schlägt nicht an, und die Ärztinnen können rasch auf eine alternative Therapie umstellen. Die Methode wird gerade für Brustkrebs getestet.

INFEKTIONEN: Bessere Impfstoffe
Typ: Boten-RNA
Impfstoffe enthalten meist Teile von Krankheitserregern – genannt Antigene –, die im Körper eine Immunantwort zur Abwehr einer späteren Infektion auslösen. Das geht aber auch anders: Statt des Antigens enthält der Impfstoff lediglich dessen Bauplan. Mit Hilfe dieses Bauplans aus Boten-RNA stellen die Zellen dann das Antigen selbst her, und die Immunisierung erfolgt wie gewohnt. Solche RNA-Impfstoffe seien viel schneller und günstiger herzustellen als konventionelle Präparate, sagt Steve Pascolo von der Universität Zürich, Mitentwickler der Methode. Viele solcher Impfstoffe – etwa gegen das Zikavirus – befinden sich bereits in der klinischen Testphase.

Nach dem gleichen Prinzip funktioniert auch eine personalisierte Impfung gegen Krebs: Hierfür werden Proteine auf der Oberfläche der Krebszellen identifiziert, die charakteristisch für den jeweiligen Tumor sind. Die Boten-RNA wird dann dem Patienten verabreicht, wodurch dieser eine spezifische Immunantwort gegen die Tumorzellen entwickelt. Laut Pascolo steht dieses Verfahren für Hautkrebs kurz vor der Zulassung.

Bereits klinisch angewandt

ERBKRANKHEITEN: Proteine ersetzen
Typ: Oligo-RNA
Bei der oft tödlich verlaufenden Erbkrankheit Spinale Muskelatrophie bilden Betroffene aufgrund eines Gendefekts zu wenig SMN-Protein. Dies führt zu Muskelschwund. Der 2017 in der Schweiz zugelassene Wirkstoff (Nusinersen) besteht aus kleinen, künstlich hergestellten RNA-Stücken, die an bestimmte Teile des Bauplans aus Boten-RNA eines ähnlichen Gens binden. Dadurch wird dieser umgewandelt und kann SMN-Protein herstellen. Schweizer Forschende entwickeln eine ähnliche Therapie für die Erbkrankheit erythropoetische Protoporphyrie, bei der Licht aufgrund eines fehlerhaften Proteins zu starken Schmerzen führt.

LEUKÄMIE: Gentherapie für Abwehrzellen
Typ: modifizierter RNA-Virus
Das von einer Schweizer Pharmafirma entwickelte Tisagenlecleucel ist in der Schweiz seit 2018 gegen bestimmte Formen von Blutkrebs zugelassen. Für diese Gentherapie isolieren Ärztinnen Abwehrzellen aus dem Blut eines Patienten. Diese werden umprogrammiert und gelangen per Infusion zurück in den Patienten, wo sie helfen, Krebszellen zu erkennen und zu vernichten. Für die genetische Umprogrammierung der Abwehrzellen wird ein ungefährliches Lentivirus benutzt. Es enthält – in Form von RNA – einen Bauplan für ein Erkennungsprotein (CAR), der fest ins Erbgut der Zellen integriert wird.

Quelle:

Dieser Artikel wurde in "Horizonte" unter der CC BY-NC-ND Lizenz am 5. März 2020 publiziert. Autorin: Yvonne Vahlensieck

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