RNA + Forschung

"Das Coronavirus könnte durch ein Medikament bekämpft werden"

Dank einer gross angelegten Studie der ETH Zürich, an der auch die Universitäten Bern, Lausanne und Cork (Irland) beteiligt waren, haben Forscher ein Molekül gefunden, das SARS-CoV-2 so «verwirren» kann, dass es unschädlich gemacht wird. Aber der Weg zu einem Medikament ist noch lang...

Eine 3D-Abbildung des menschlichen Ribosoms in Verbindung mit dem SARS-CoV-2-Genom, welche die Achillesferse des Virus offenbart. Julie de Tribolet

Seit Beginn der Pandemie ist es eine der grossen Herausforderungen: Wie kann man wissenschaftliche Themen allgemein verständlich machen, damit sie für jeden zugänglich werden? Mithilfe von Vergleichen und Beispielen, die wir aus dem Alltag kennen. Das haben wir mit Professor Nenad Ban, einem Forscher am Institut für Molekularbiologie und Biophysik der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ), versucht. Gemeinsam mit seinen Kollegen von den Universitäten Bern, Lausanne (Unil) und Cork ist es dem führenden Experten auf seinem Gebiet und seinem sechsköpfigen Team gelungen, das SARS-CoV-2 Virus – also den Erreger von Covid-19 – zu hemmen.

Moment – kann das funktionieren? Ja, mit einem Antibiotikum, Merafloxazin, das eine Schwachstelle des Virus angreift: die Verschiebung des Leserasters im viralen Genom. Alles verstanden? Nun, man könnte die Infektion mit einem Computerangriff vergleichen, denn um sich zu vermehren übernimmt das Virus wie ein Hacker die Kontrolle über eine infizierte Zelle. "Der Mechanismus, den wir aufgedeckt haben, ist dabei ein Schlüsselelement. Wir sind noch einen Schritt weiter gegangen und haben versucht, den Prozess mit chemischen Substanzen zu beeinflussen. Nach vielen Versuchen hat es sich herausgestellt, dass das Antibiotikum Merafloxazin die Fähigkeit hat, die Vermehrung des Virus in den infizierten Zellen zu stoppen oder zumindest stark zu verlangsamen. Ungefähr um einen Faktor 1.000 bis 10.000 – und das, ohne dass es auf die behandelten Zellen toxisch wirkt", erklärt Professor Ban, der hinter diesen wichtigen Erkenntnissen steht.

Zell- und Proteinproben werden bei -80°C in grossen Gefrierschränken gelagert. Julie de Tribolet

"Die genetische Information wird immer in «3-Buchstaben-Wörtern» abgelesen", fährt David Gatfield, Professor an der Unil, fort. Er und seine Mitarbeiter haben sich auch an diesem Forschungsprojekt beteiligt – wenn auch eher als Späteinsteiger und nicht von Anfang an, wie er hinzufügt. "Interessanterweise macht SARS-CoV-2 an einer Stelle in seinem Genom einen sehr ungewöhnlichen Sprung, verrutscht im Leseraster, und es wird ein Wort mit zwei Buchstaben abgelesen. Dieser aussergewöhnliche Mechanismus ist wichtig für die Virusvermehrung. Das Antibiotikum verhindert diesen Buchstabensprung und das Virus ist völlig verwirrt, wenn ich das so sagen darf."

Stellen wir uns einmal den Satz vor: "Los, sag mir, wer im Zoo ein Eis mag." Er besteht ausschliesslich aus 3-Buchstaben-Wörtern, sowie einem 2-Buchstaben-Wort ("im") in der Mitte. Durch die Einwirkung der chemischen Substanz gerät das Ribosom, also die Proteinfabrik der Zelle, durcheinander und liest einfach alles stur im 3-Buchstaben-Raster: "Los, sag mir, wer imZ ooe inE ism ag.", erklärt der Forscher. Eine Lesart, die den Virus praktisch ausser Gefecht setzt. Und da alle Arten von Coronaviren auf diesem Phänomen beruhen, ist die Hoffnung gross, aus dieser Entdeckung ein Medikament gegen Coronaviren und ihre Varianten weiterzuentwickeln, so der Lausanner Forscher.

Nun – vom Labor bis zu einem in der Apotheke erhältlichen Medikament ist der Weg lang und beschwerlich, warnen die beiden Wissenschaftler: "Es ist nicht ungewöhnlich, dass zwischen der Entdeckung eines Mechanismus oder eines wirksamen Moleküls und dessen Vermarktung fünf bis zehn Jahre vergehen. Allerdings wird SARS-CoV-2 auch nicht so schnell verschwinden. Es besteht durchaus die Gefahr, dass die SARS-CoV-2 Varianten zunehmend resistent gegen Impfstoffe werden. Daher ist es wichtig, für die Zukunft eine weitere Waffe zu entwickeln, um das Virus zu bekämpfen". Da sind sie sich einig.

Die Entdeckung wurde von Professor Nenad Ban gemacht, einem Forscher am Institut für Molekularbiologie und Biophysik der ETH Zürich. Julie de Tribolet

Wir haben alle schon in der Bevölkerung kursierende Gerüchte gehört, dass aufgrund finanzieller Interessen die Industrie sich ausschliesslich auf den Impfstoff konzentriert, um die COVID-19 Pandemie zu bewältigen. Diese Meinung teilen unsere Wissenschaftler überhaupt nicht – allein schon, weil man mit Medikamenten wohl weit mehr Geld verdienen könnte als mit Impfstoffen.

"Wir haben bereits am Ende des ersten Lockdowns, im Mai 2020, an ähnlichen Prozessen gearbeitet wie heute. Aber es ist einfach so, dass die Entwicklung eines Impfstoffs sich als viel weniger aufwendig erweist als die Entwicklung eines Medikaments. Ein Impfstoff wirkt oder er wirkt nicht – und ausserdem ist die Menge des injizierten oder aufgenommenen Wirkstoffs so gering, dass es kaum zu Nebenwirkungen oder Toxizitätsproblemen kommt. Mit einem Medikament verhält es sich grundsätzlich anders. Seine Entwicklung durchläuft mehrere Phasen. Wir befinden uns in der Phase der Grundlagenforschung. Unsere Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass unsere Methode wirkt, allerdings benötigt man hohe Dosen des Wirkstoffs. Nun muss dieser Ansatz optimiert werden. Das ist der nächste Schritt, der nicht mehr in unseren Zuständigkeitsbereich fällt, sondern in den eines Start-ups oder eines Pharmakonzerns."

Dies bestätigt auch Massimo Nobile, promovierter Biologe und CEO des Swiss Biotech Center (SBC), ein Walliser Start-up mit Sitz in Monthey. SBC ist ein Kompetenzzentrum, das akademischen Forschern und Entwicklern offensteht und als «Beschleuniger» für die Entwicklung innovativer Produkte arbeitet.

Im Labor werden Bakterienkulturen zur Herstellung von Proteinen verwendet. Für diese Studie verwendeten die Wissenschaftler Zellen von Affen. Julie de Tribolet

"Der Transfer zwischen akademischer und industrieller Forschung ist in der Tat der Schritt, der über die wissenschaftliche und wirtschaftliche Tragfähigkeit des Projekts entscheidet. Man muss mit zwölf bis achtzehn Monaten rechnen, um ein wirksames Molekül zu identifizieren und zu validieren. Ist diese Phase abgeschlossen, beginnt die so genannte "Discovery"-Phase, in der die Indikatoren auf einen Erfolg des Projektes bewertet werden. Erweisen sich diese als vielversprechend und kostet die Herstellung des Wirkstoffs nicht 10.000 Franken pro Gramm, können erste (präklinische) Studien beginnen, bei denen vor allem die Toxizität getestet wird. Dies geschieht an zwei verschiedenen Tierarten. Je nach auftretenden Hindernissen und Erfolgen ist die Dauer dieser Phase sehr unterschiedlich – "Wir bewegen uns im Bereich zwischen einem und fünf Jahren", sagt der SBV-Chef, der kürzlich wegen der Entwicklung eines Impfstoffs der zweiten Generation mit der Berna Biotech Pharma Gruppe im Rampenlicht stand.

Vor dem Elektronenmikroskop: Professor Ban mit seinem Freiburger Assistenten Alain Scaiola, der einen Masterabschluss in Naturwissenschaften und Biochemie hat. Julie de Tribolet

Ist ein Molekül oder ein Verfahren vielversprechend, kann es vorkommen, dass eine Pharmafirma die Unterlagen an sich reisst, sobald die Phase der Grundlagenforschung abgeschlossen ist. "Sobald sie das Labor verlassen haben, ist das nicht mehr mein Fachgebiet, aber soweit ich weiss, ist das hier nicht der Fall", sagt Nenad Ban. Die Basler Pharmafirma Roche teilte uns auf Anfrage mit, dass keine Kommentare zu einzelnen Kontakten oder Projekten gegeben werden. Bleibt noch die Möglichkeit der öffentlichen Förderung, etwa durch die Innovationsförderungsgesellschaft Innosuisse oder den Schweizerischen Nationalfonds, der sich massgeblich an der ETH-Studie beteiligt hat und die Erforschung der Rolle der RNA bei Krankheiten unterstützt - ein Bereich, in dem die Schweiz weltweit führend ist.

Die Zellproben werden in flüssigem Stickstoff bei -196°C aufbewahrt, bevor sie mittels Cryo-Elektronenmikroskopie untersucht werden. Julie de Tribolet

Quelle:

L'illustré, veröffentlicht am 24. Juni 2021

Author Christian Rappaz; Übersetzung Veronika Herzog & David Gatfield

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